Die alte Scham
Eine Geschichte über Körper, Schuld und den Mut, sich selbst zu verstehen.
Content Note:
Dieser Text spricht über Sexualität, Scham, Religion und gesellschaftliche Irrtümer.
Er soll nicht provozieren, sondern entlasten – und zeigen, dass Selbstverständnis kein Vergehen ist.
Die Szene
Ein Jugendzimmer, irgendwann in den 90ern.
Ein Plakat an der Wand, die Tür abgeschlossen,
und irgendwo dazwischen ein Mensch,
der glaubt, etwas Falsches zu tun.
Kein Verbrechen, kein Verrat –
nur der eigene Körper,
der fühlen will.
Und irgendwo dazwischen
eine Stimme, die sagt:
„Das darfst du nicht.“
Die Wurzeln
Diese Stimme ist alt.
Sie kommt aus Kirchenbänken,
aus Schulfluren,
aus Generationen von Tabus.
Jahrhunderte lang wurde Menschen erzählt,
dass Lust Sünde sei,
dass Selbstberührung schwäche,
dass Körper nur Mittel zum Zweck seien.
Man fesselte Kinderhände,
man predigte Höllenfeuer,
man erfand Krankheiten,
nur um das Unkontrollierbare zu zügeln.
Das Ergebnis war nicht Reinheit,
sondern Scham.
Die Moderne
Man sollte meinen, das sei vorbei.
Aber die alten Märchen leben weiter –
nur im neuen Design.
Heute heißen sie „NoFap“,
„Disziplin“,
„Selbstkontrolle“.
Und wieder sind es meist Männer,
die glauben, dass Enthaltsamkeit
sie stärker macht.
Doch was sie in Wahrheit tun,
ist sich selbst bestrafen
für etwas, das niemand bestrafen müsste.
Der Gedanke
Der Körper ist kein Gegner.
Er ist kein Tier, das gezähmt werden muss.
Er ist ein Teil von uns,
der uns kennenlernen will.
Selbstberührung ist kein Exzess,
keine Schwäche,
kein Sündenfall.
Sie ist ein Gespräch.
Eines, das nie laut geführt wird,
aber entscheidend ist für Selbstakzeptanz.
Die Gesellschaft
Wir reden heute über alles –
außer über das,
was uns mit uns selbst verbindet.
Wir sexualisieren alles,
aber wir verlernen Intimität.
Wir sprechen von Selbstliebe,
aber wir meinen nur Selbstoptimierung.
Es ist leichter, über Dating zu reden
als über Nähe zu uns selbst.
Warum ich das schreibe
Weil es absurd ist,
dass Menschen im 21. Jahrhundert
immer noch glauben,
ihr Körper sei ein moralisches Problem.
Weil Selbstverurteilung keine Stärke ist.
Und weil Scham immer da entsteht,
wo Verständnis fehlt.
Sanfte Einladung
Vielleicht müssen wir nicht aufhören,
über Sex zu reden.
Wir müssen anfangen,
über Zärtlichkeit zu reden –
auch die zu uns selbst.
Und vielleicht bedeutet Heilung,
nicht perfekt zu werden,
sondern sich selbst zu erlauben,
ein fühlendes Wesen zu sein.

