Zwischen Selbstvermarktung und Selbstverlust – warum Aufmerksamkeit süchtig macht
Was die Forschung zeigt (kurz & fundiert)
- Variable Belohnung macht abhängig: Social-Media-Plattformen nutzen intermittierende Verstärkung (mal viel Feedback, mal keins) – ein Muster, das nachweislich Gewohnheiten verfestigt und Suchtpotenzial steigert.
- Dopamin & Anti-Belohnungszustand: Wiederholte, belohnungsgetriebene Nutzung kann das Belohnungssystem umstellen – erst Kick, später Leere/Anhedonie.
- „Likes“ als sozialer Druck: Sichtbare Like-Zähler beeinflussen Selbstwert und Verhalten; das Verstecken von Likes wird u. a. als Entlastung empfohlen/erforscht.
- Creator-Burnout ist real: Längere Online-Zeit + Algorithmusdruck korrelieren mit negativer Stimmung und Ausbrennen bei Creators/Influencern.
- Aufmerksamkeitsökonomie: Interfaces werden aktiv dafür gebaut, Aufmerksamkeit zu binden – Emotion als Treibstoff.
Die Geschichte
Die Szene
Es beginnt harmlos: ein Ping, ein Herzchen, ein Kommentar.
Nur kurz schauen, sagst du.
Fünfzehn Minuten später fühlst du dich leichter – oder leerer.
Beides hält nicht lange.
Wir alle kennen das Spiel:
Posten, warten, prüfen.
Ein kleiner Gewinn, dann Stille.
Noch ein Versuch.
Das ist kein Charakterfehler. Das ist Design.
Was Aufmerksamkeit mit uns macht
Aufmerksamkeit war einmal Begegnung.
Heute ist sie Währung.
Wir zahlen mit Zeit, bekommen dafür vielleicht ein bisschen Bestätigung.
Dieses vielleicht ist der Haken.
Manchmal viel, manchmal nichts – genau diese Unvorhersehbarkeit bindet uns fester als jede Garantie.
Und wenn der Kick ausbleibt?
Dann scrollen wir schneller, posten öfter, schärfer, lauter.
Bis aus zeigen ein verkaufen wird – von uns selbst.
Irgendwann merken wir:
Wir optimieren nicht mehr Inhalte, wir optimieren Identität.
Die stille Nebenwirkung
Dopamin kann jubeln.
Es kann aber auch verschwinden.
Wer ständig nach dem nächsten Aufmerksamkeits-Hoch greift, findet sich nicht selten in einem Tal wieder, das keinen Namen hat – nur Müdigkeit.
Creators nennen es: Ich kann das Tempo nicht mehr halten.
Manche reduzieren, manche brennen aus, manche gehen.
Zwischen Selbstvermarktung und Selbstverlust
Selbstvermarktung ist nicht per se falsch.
Sie wird gefährlich, wenn der Algorithmus unsere Grenzen diktiert:
Noch ein Reel.
Noch eine Meinung.
Noch ein Teil von dir, den du eigentlich für dich behalten wolltest.
Die Frage ist nicht: Darf ich sichtbar sein?
Sondern: Was darf sichtbar sein, ohne dass ich mich verliere?
Kleine Gegenmittel (kein Dogma, nur Praxis)
- Like-Zähler aus: Sichtbare Zahlen verstecken – weniger Vergleich, mehr Präsenz.
- Fenster statt Flut: Feste Online-Zeiten, dann Apps zu. (Die Plattform pausiert nicht – du darfst.)
- Output ≠ Identität: Nicht alles, was dich berührt, muss gepostet werden.
- Rückkehr zu Longform: Lesen, Schreiben, Gespräche ohne Schnitt. (Das Nervensystem mag Länge.)
- Offline-Wert: Eine Stunde echte Nähe schlägt tausend Views – immer.
Fußnote an mich selbst
Ich will Reichweite, die ich noch tragen kann.
Ich will Zahlen, die nicht über mich entscheiden.
Und wenn ich wählen muss zwischen immer online und wirklich da:
Ich wähle da.

