Funktionieren oder Fühlen
Eine Geschichte über zwei Welten, die dieselbe Sprache nie gelernt haben.
Content Note:
Dieser Text berührt Themen wie Selbstreflexion, emotionale Offenheit und die gesellschaftliche Spannung zwischen Funktion und Gefühl.
Die Szene
Ein Mensch schreibt.
Nicht, um Aufmerksamkeit zu bekommen –
sondern, um nicht zu platzen.
Ein anderer liest.
Und runzelt die Stirn.
„Was soll das bringen? Das Leben ist kein Tagebuch. Man muss funktionieren.“
Zwei Realitäten.
Beide echt.
Beide glauben, sie hätten Recht.
Der, der schreibt
Er denkt zu viel, sagen sie.
Aber in Wahrheit denkt er tiefer.
Er beobachtet.
Er fühlt.
Er hinterfragt.
Manchmal tut das weh –
aber er weiß, dass Schmerz nichts zerstört,
wenn man ihm Raum gibt.
Er schreibt,
weil Schweigen ihn mürbe macht.
Weil er hofft, dass einer, irgendwo,
sich wiedererkennt –
und das Gefühl bekommt,
nicht ganz allein zu sein.
Der, der funktioniert
Er liest und versteht nicht.
Nicht, weil er willkürlich urteilt,
sondern weil er gelernt hat, dass Nachdenken gefährlich ist.
„Wenn du zu lange innehältst, bleibst du stehen.“
„Wenn du zu viel fühlst, verlierst du Fokus.“
„Wenn du zu ehrlich bist, verlierst du Respekt.“
Das ist die Sprache seiner Welt.
Eine Welt, in der Effizienz über Echtheit steht.
In der Gefühle als Hindernis gelten,
und Reflexion als Zeitverschwendung.
Aber unter der Härte steckt oft Erschöpfung.
Eine Müdigkeit, die man nur nicht laut aussprechen darf.
Das Missverständnis
Der Schreibende sieht Tiefe.
Der Funktionierende sieht Schwäche.
Doch in Wahrheit sucht der eine Erklärung,
während der andere Ruhe sucht.
Beide kämpfen.
Beide tragen.
Beide überleben auf ihre Art.
Der Unterschied ist nur,
dass einer seine Gedanken zeigt –
und der andere sie verschließt.
Warum ich das schreibe
Weil wir aufgehört haben, uns gegenseitig zu verstehen.
Weil wir in einer Gesellschaft leben,
die Produktivität als Heilung verkauft
und Stille als Schwäche.
Aber die Wahrheit ist:
Wir brauchen beide.
Die, die fühlen.
Und die, die funktionieren.
Nur wenn sie wieder miteinander sprechen,
entsteht Balance.
Sanfte Einladung
Wenn du jemand bist, der funktioniert –
halte kurz an.
Nicht für immer. Nur für einen Atemzug.
Und frag dich:
Wann hast du das letzte Mal etwas gefühlt,
ohne es zu bewerten?
Und wenn du jemand bist, der schreibt –
erinnere dich:
Nicht jeder, der dich kritisiert, ist dein Feind.
Manche wissen einfach nicht,
wie man mit sich selbst leise ist.
Fußnote an mich selbst
Manche Mauern sind keine Ablehnung –
sie sind Schutz.
Aber wer schreibt,
klopft trotzdem an.
Nicht, um einzubrechen,
sondern, um zu zeigen:
Hier draußen ist jemand,
der fühlt, was du vergessen hast zu spüren.


